„This Strange Realm Of Mine“ ist das vierte Spiel des Solo Entwicklers Doomgriever und, wie der Name schon vermuten lässt, ziemlich strange. In diesem pixeligen First Person Shooter muss ich nämlich nicht um mein Leben kämpfen, denn ich bin bereits tot. Als „Lost Soul“ betrete ich das Leben nach dem Tod, hier: eine kleine, anfangs leere, heimelige Taverne inmitten einer Schneelandschaft. Ulrich, der Besitzer, der gerne in Rätseln spricht, erläutert mir Teile meiner Situation und schickt mich von fortan durch verschieden Level (oder Realms), die alle einen gewissen Teil des vorherigen Lebens thematisieren. Die Level, die ich durchstreifen darf, bestehen zum größten Teil aus soliden Shooter Einlagen in Retro-Manier, oft sehr leichten Puzzles und viel Erkundung der jeweiligen Spielwelt. Dabei fühlt sich jedes Level wie eine kleine Kurzgeschichte an, die von Horror-Elementen sowie Surrealität gespickt ist. Viele meiner Touren durch die Realms, aus denen Charaktere mit in die Taverne eingeladen werden können, werfen Fragen nach dem Sinn des Lebens oder anderen philosophisch hochgesteckten Themen durch immer wieder eingeschobene Lyrik auf. Dabei verliert mich This Strange Realm Of Mine leider ab und an auch mal, wenn ein Charakter beispielsweise eine zu lang geratene Abhandlung über den Unterschied zwischen Leben und Tod hält. An anderen Stellen sind die Texte der Charaktere aber wiederum unglaublich lebensnah geschrieben. Hier schreckt Realm auch nie vor unangenehmen Themen zurück: In einem Level namens „Current Events“ treffe ich zum Beispiel auf Pistil, die scheinbar mit Depressionen zu kämpfen hat. Erfahren tue ich das im Dialog, in dem sie sich über ihren Zustand öffnet, nachdem ich sie ermutige und verischere, dass sie mit mir darüber sprechen kann.
Der Entwickler Wildemar Doomgriever geht auf seinem Blog sehr offen mit seinen eigenen psychischen Erkrankungen um: Er ist ein hochfunktionaler Autist, leidet unter Angststörungen und seit seiner Kindheit auch unter chronischen Depressionen. Viele seiner eigenen Erfahrungen sowie seiner Gedanken über „den Tod, das Leben, soziale Angst [und] Ähnlichem“[1] sind in This Strange Realm Of Mine eingeflossen.
Auch wenn der Titel meiner Meinung nach an einigen Stellen, was zum Beispiel manche Shooter-Mechaniken angeht, relativ durchmischt ist, hat Realm aber auch extreme Höhen, in denen es mit seiner Darstellung der Thematik brilliert. Um das einmal näher zu veranschaulichen, würde ich gerne kurz im Detail auf den Level „Confronting Discomfort“ eingehen.
Durch den Zugang dem Tavernen-Limbo betrete ich den Level und finde mich in einem kleinen Apartment wieder. Der Boden ist zugemüllt mit leeren Pizza-Kartons und Dosen.
Es klingelt an der Tür. Ich bahne mir meinen Weg durch den Dreck, um das eigentlich simple Ziel dieses Levels zu erfahren: Fälschlicherweise wird an meiner Haustür eine Mitteilung über ein Paket für eine andere Person abgegeben. Also mache ich mich auf den Weg zum Postamt. Doch das stellt sich als schwerer heraus als gedacht: Denn als ich den sicheren Hafen meines Apartments verlasse, bemerke ich erst, was mir dieses Level klar machen möchte. Die Menschen, die auf den Gängen des Hauses ihr Unwesen treiben, gleichen viel eher Monstern. Mit riesigen, leeren Augen starren sie mich an. Die Fassade meiner Wohnung ist beschmiert mit Aufschriften wie „You make this neighbourhood look bad“ oder „Nobody likes you“. Als ich mich einer der Personen außerhalb nähere, bemerke ich, dass die Spielfigur anfängt, schwer zu atmen und ich durch die Annäherung Lebenspunkte verliere.
All diese Aspekte dienen zur Repräsentation sozialer Angst. Die Isolation und Abschottung im Apartment sowie das Gefühl konstant von anderen negativ beurteilt zu werden, bis der Kontakt mit Menschen zur reinen Tortur wird; es einem wortwörtlich das Leben aussaugt. Das einzige Health Kit im ganzen Level liegt übrigens in der Wohnung, direkt neben dem Laptop. Falls das Alles also zu viel wird und meine Lebenspunkte verschwinden gering werden, muss ich zurück, um den Schutz meiner Behausung aufzusuchen. Eine äußerst clevere Verbindung zwischen den Spielmechaniken und der Thematik des Levels, denn hierdurch wird ein einfacher Gang zum Postamt zum spielerischen Hindernis. Auf den Gängen muss ich sogar auf die Laufwege der Menschen achten, um ihnen möglichst aus dem Weg zu gehen. Das Gefühl der Beklommenheit durch das Gestarre erreicht seinen Höhepunkt, als ich einen großen Raum betrete, in dem es nur so von Menschen wimmelt.
Der Weg zum Postamt scheint unerreichbar und am Ende des Levels treffe ich auf die einzige „normal“ aussehende Person: Brave. Sie berichtet mir von ihrer eigenen Erfahrungen mit sozialer Angst und meint, dass früher für sie ebenfalls alle Menschen so „merkwürdig“ aussahen. Hier werde ich als Spieler durch klares Aussprechen der der Gefühle im Dialog mit dem eigentlichen Problem konfrontiert. Brave versucht dann , mir, der „verlorenen Seele“, diese Angst zu nehmen, indem sie erklärt, Angst vor Menschen zu haben, sei eigentlich unbegründet; so als hätte man vor niedlichen Katzen Angst. „If you see people as harmless cats walking around, they no longer scare you…“[2]. Prompt verändert sich das Level komplett: Die vorher verzerrten Fratzen wurden durch niedliche Katzen ersetzt und die fast schon schwarz weiße Farbgebung weicht einer kunterbunten Texturierung, sodass die Gänge und Räume wesentlich wärmer wirken.
Meine Angst besiegt, gebe ich nun endlich den Brief bei einer „Postal Cat“, die den ein oder anderen katzenbezogenen Wortwitz einschiebt, ab. „Fantastisch, dieses Spiel“, denke ich.
Auch wenn es natürlich klar ist, dass ernsthafte, soziale Angststörungen nicht so schnell zu bewältigen sind, finde ich die aufgestellte Allegorie in Verbindung mit dem Dialog von Brave dann doch treffend. Sie versucht der Spielfigur die Angst zu nehmen, indem sie aufzeigt, dass andere Menschen einen eben nicht konstant bewerten oder beurteilen, sondern dass dies bloß die eigene Unsicherheit ist, innerhalb einer Situation mit keiner wirklichen Gefahr.
Wie schon oben angedeutet, kann das Spiel einen manchmal etwas mit den Philosophieansätzen sowie den Gedichten überladen. This Strange Realm Of Mine hat aber viele, wunderbare Momente und gerade die surreale Gestaltung der Level sowie das Ansprechen von psychischen Problemen gefiel mir extrem gut. Falls das jetzt so klang, als könnte das Spiel euch eventuell ansprechen, empfehle ich euch herzlichst, es auf Itch.io zu kaufen und den Entwickler zu unterstützen, seinem Blog zufolge hat sich Realm auf Steam nämlich leider kaum verkauft. Und sowieso hat diese kleine unpolierte Indie-Perle für das, was sie erbringt, leider viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen.
[1] „REALM released on Steam and what it means to me..“
[2] Screenshot aus dem Level