Der Digitale Ruheplatz – Spiele, die mir eine Auszeit bieten

In vielen modernen Videospielen werde ich regelrecht bombadiert mit Zielen, die es zu erreichen, sowie Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Wenn ich die Karte der Spielwelt aufrufe, wie im Extrembeispiel von Assassin’s Creed Unity, ploppen zig Icons und Sammelobjekte auf, die es abzuarbeiten gilt.

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Assassin’s Creed Unitys Karte ist überladen mit Sammelobjekten (Bildquelle)

Und oft denke ich mir, dass dies eben nichts anderes als genau das ist: Arbeit. Zumindest fühlt es sich manchmal so an.
Ein Teil meiner eigenen Faszination für Videospiele kommt von ihre besondere Form des Eskapismus: Das Eintauchen in eine andere Welt, die einen vom grauen Alltag abbringt. Diese Faszination geht jedoch leider verloren, wenn ich im x-ten Open World Titel – so faszinierend viele der Spielwelten auch sein mögen – stupide von Markierung zu Markierung laufe. Manchmal, da brauche ich einfach eine Pause von diesen Spielekonzepten; quasi eine Form von Eskapismus vom Alltag und vom konventionellen Spielen an sich. Vor ein paar Wochen schrieb ich über Stardew Valley und wie die Rückkehr nach Pelican Town sich in gewisser Hinsicht immer wie Urlaub anfühlt; wie das Eintreten in eine kleine, schöne Utopie. Doch auch in Stardew Valley habe ich Aufgaben zu erledigen sowie Verantwortung zu tragen.
Also habe ich mir die Frage gestellt, wo ich solch einen digitalen Ruheort in einer reineren Form finden kann.

Das allererste, was mir hierzu einfiel ist das 10. Level in Davey Wredens zweitem Spiel „The Beginner’s Guide“. Hier begleitet euch eine Erzählstimme durch verschiedenste, kleine, unfertige Spielekonzepte, um die Gedankengänge des Entwicklers dahinter zu ergründen. Im „House Cleaning Level“ betretet ihr ein Anwesen in einer verschneiten Umgebung, in dem man kurze Haushaltsaufgaben erledigt.

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Das kleine Haus in Level 10 von The Beginner’s Guide strahlt eine unglaubliche Wärme aus.

Und dieses gesamte Level strahlt für mich durch die Darstellung sowie den Soundtrack immer eine gewisse Friedlichkeit aus. Wie einige dieser Reddit-User beschreiben fühle ich mich in dieser idyllischen Umgebung, frei von irgendwelchen Problemen, vollkommen geborgen und möchte diese Sektion des Titels eigentlich nicht verlassen.

But, of course, it can’t last. The music stops, your companion is gone, it’s time to leave![1]

Jedoch gerade wenn ich in der Atmosphäre des Levels versunken bin, endet dieses und ich schreite weiter in das nächste, halbfertige Konzept.
Es gibt aber auch tatsächlich Spiele, die sich bloß auf diesen einen Aspekt konzentrieren, und dabei jegliches im Weg stehendes Gameplay Element über Bord werfen.

„Mediterranean Voidland“ ist eines dieser Spiele, über das ich gestolpert bin, und wird vom Entwickler Federico Fasce (auch bekannt als „Fede“) selbst als „voidscape game“ oder „virtuelles Diorama“ bezeichnet: Denn ich tue hier die ganze Zeit nichts anderes als mir die mediterrane Stadt mitten im Meer anzusehen, während die dazu passende Musik einer italienischen Band spielt.

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Mediterranean Voidland bildet eine kleines, idyllisches Dorf am Meer ab.

Ich beobachte das Meer, schlendere durch die ruhigen Straßen, betrachte die Architektur oder erblicke die komplette Landschaft von Bauten auf kleinen schwebenden Plattformen. Laut Aussage des Entwicklers, soll die Mischung des Visuellen und der Musik, das Gefühl auslösen, ein kleines Dorf am Meer zu besichtigen. Genau das löst das Spiel bei mir aus: Das Gefühl von Urlaub; noch stärker als ich es zuvor bei Stardew Valley empfand. Ich werde in diesen Mikrokosmos regelrecht hineingezogen.

Ein weiterer Titel, der in diese Kerbe an Erfahrungen schlägt, ist Fi Silvas „A bright light in the middle of the ocean“, in dem ich in einem ähnlichen mediterranen Setting, einen Leuchtturm erkunden darf.

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Das Gras raschelt, die Möwen lachen mich an und in der Ferne sehe ich ein Kreuzfahrtschiff vorbeifahren. Zur ruhigen Musik von Paws Menu kann ich hier den Sonnenuntergang genießen und die Räume des Leuchtturmwärters, die mit vielen Zeichnungen geschmückt sind, durchwandern. Dieser Ort sollte jedes sehnsuchtsvolle Herz eines Romantikers befriedigen.

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Die kleine Leuchtturminsel in „A bright light in the middle of the ocean“ bietet einen wundervollen Tag/Nacht Wechsel.

Bei diesen Beispielen ist der Begriff Spiel fast schon unangebracht, da „Mediterranean Voidland“ sowie „A bright light in the middle of the ocean“ vielmehr besuchbare, digitale Orte abbilden. Orte, die auf mich eine große Faszination auswirken und gleichzeitig durch das pure Aufsaugen der Atmosphäre in einen Zustand der inneren Ruhe bringen. Man könnte sie schon fast als spielbare Meditation bezeichnen. Sie strahlen durch ihre gesamte Aufmachung eine positive und erlebbare Wärme aus.
In diesen digitalen Räumen habe ich keine Ziele oder Aufgaben; es gibt keine Hektik und keine Arbeit. Das ist eine Erfahrung, die ich in dieser Art und Weise in keinem anderen Medium bekommen werde: Diese Orte haben keine Laufzeit und ich muss auch nicht zur nächsten Seite umblättern: Ich kann so lange dort verweilen, wie ich möchte.


An jeden, der mal eine Auszeit brauch, die beiden Spiele gibt es kostenlos auf Itch.io:

Außerdem zwei interessante und themenverwandte Texte:


[1] Script des Erzählers in Level 10 von The Beginner’s Guide

Autor: Amon

Versucht des Öfteren, etwas Fundiertes über Videospiele zu sagen und zu schreiben. Meistens - aber nicht ausschließlich - auf seinem eigenen Blog. @AsonDT auf Twitter

3 Kommentare zu „Der Digitale Ruheplatz – Spiele, die mir eine Auszeit bieten“

  1. Sehr spannendes Thema, als großer Fan von The Beginners Guide hat mir das Beispiel daraus auch sehr gefallen 🙂 Gerade diese im Text geschilderte Art des Video Game Tourism hat ja in den letzten Jahren ziemlich an Popularität gewonnen. Als Spiel ohne inhärente Ziele, welches lediglich durch eine idyllische Atmosphäre funktioniert, würde ich glaube ich tatsächlich noch Minecraft bezeichnen, zumindest die früheren Versionen davon. Der ruhige Soundtrack und das Gefühl einer endlos großen Welt die sich vor mir neu aufbaut und Strukturen verbirgt, die zum Entdecken einladen, wirkte auf mich damals ähnlich meditativ. Deine anderen Beispiele werde ich mir auf jeden Fall auch mal anschauen!

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    1. Danke für deinen Kommentar, Johannes!
      Ich finde die Idee von Video Game Tourism auch super interessant und kann dein Beispiel, wenn ich so zurückdenke, im Grunde nachvollziehen. Früher hatte ich bei Minecraft wirklich ein ganz anderes Gefühl als heute, da das Spiel meiner Meinung nach etwas kaputt gepatcht wurde. Lustigerweise erinnerte mich der Soundtrack von A bright light stark an den Minecraft Soundtrack! 🙂

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  2. Ich verbrachte einst einen wunderschönen Urlaub im virtuellen Hongkong von Shenmue II. Allerdings erst, als ich das Spiel (nach ein paar Jahren) zum zweiten Mal spielte, als mich die Handlung also nicht mehr so sehr antrieb und ich abschätzen konnte, was mich noch erwartete. Da schlenderte ich gern stundenlang durch die Straßen, sprach mit den Bewohnern, besuchte jedes einzelne Geschäft und sah mir die Waren an, lauschte der grandiosen Musik, etc.
    Nichts drängte mich. Es kam einem Urlaub gleich, in dem ich nur alle paar Stunden wieder einmal etwas für die Mainquest tat und das Spiel infolgedessen ganz anders erlebte. Ich lief nicht länger auf ein fernes Ziel hin, ich war für die gesamte Dauer des Spiels „angekommen“ und wollte deshalb eigentlich auch nie (zum nächsten Schauplatz) gehen.

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